multiple choice, 2007
Das fotografische Selbstportrait hat durch die digitalen Techniken eine faszinierende Erweiterung erfahren. Im Sinne eines Ein-Personen-Theaters kann das eigene Gesicht bzw. der eigene Körper nun mehrfach im Bild auftauchen. Natürlich war das auch früher mit den Mitteln der Collage möglich, doch zeigt sich hier, wie technische Möglichkeiten zu anderen Bildwelten führen.
Besonders exzessiv treibt es Martin Liebscher, der sich mitunter gleich hundertfach in ein Bild montiert. Mengenmäßig bescheidener ist da Anthony Goicolea (USA), der sein kindliches Aussehen digital klont und in theatralisch-narzistischen Szenen zeigt. Wie sehr sich Doppel-bzw. Mehrfachselbstportraits eignen, um soziale Beziehungen, Identitätsvorstellungen sowie Fantasien und Träume zu visualisieren, ist auch in Arbeiten von Bettina Hoffmann (D) und Vibeke Tandberg (Norwegen) eindrucksvoll zu sehen.
Die junge Bremer Fotografin Cosima Hanebeck hat dieses Genre nun um eine ganz eigene Position erweitert. Wie bei den genannten Autoren ruft die Betrachtung im ersten Moment Verblüffung hervor. Den Sehgewohnheiten der momenthaften Fotografie folgend kann es nicht sein, dass ein und dieselbe Person mehrfach in einem Bild auftaucht. Doch die Fotografin zeigt ihr Gesicht nicht in jedem Bild und nicht in jeder Position. Erst nach und nach wird klar, dass wir es immer wieder mit ihr zu tun haben.
Die Bilder zeigen zum Teil scheinbar alltägliche, zum Teil surreale Szenen. Immer ist eine eigentümliche Spannung zu spüren, nie gleiten die Szenen in Klamauk ab. Trotz der Verdoppelung und Interaktion bleibt die Person stets mit sich allein. Ja, das Multiple kann sogar den Moment des Alleinseins noch verstärken. Der Mensch hat in ein und derselben Situation unterschiedliche Optionen zu agieren, wird aber immer wieder auf sich zurückgeworfen.
Gefragt nach der Vorgehensweise erzählt die Fotografin, dass sie zu den Bildideen – die auf eigene Träume, literarische Erzählungen, Zeitungsartikel oder andere Bilder zurückgehen können – zunächst passende Orte gewählt hat. Dort positionierte sie ihre Kamera und hat sich mit Selbstauslöser oder mit Hilfe ihres Freundes mehrfach oftmals in unterschiedlicher Kleidung, fotografiert. Dabei spielten auch Zufall und Spontaneität eine wichtige Rolle. Präzise und kontrolliert erfolgte abschließend die Montage am Computer.
Weiblichkeit, die Akzeptanz des eigenen Körpers, Einsamkeit, Kommunikation, Identität, Kontrolle, Gefahr – die Serie „multiple choice“ kann vielschichtige Auseinandersetzungen anregen. Geschickt vermeidet Cosima Hanebeck jedoch eine inhaltsschwere Überladung, sondern lässt dem Betrachter Raum für eigene Assoziationen. Ihre Bilder haben etwas spielerisches und locken mit gekonnten Kompositionen.
Anna Gripp Photonews.